Die Pilotphase wurde durch die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm (TH Nürnberg) wissenschaftlich begleitet, evaluiert und im Rahmen von AzuRe PLUS weiterentwickelt.
Das 4+1-Praktikum ist ein Modell zur Stärkung der Berufsorientierung an Mittelschulen im Landkreis Nürnberger Land. Die Grundidee: Vier Tage pro Woche besuchen die Schülerinnen und Schüler den regulären Unterricht, am fünften Tag absolvieren sie über einen längeren Zeitraum ein Praktikum in Betrieben der Region.
Das Modell reagiert auf mehrere Herausforderungen:
- Viele Betriebe können aus betrieblichen Gründen keine klassischen Blockpraktika über mehrere Tage anbieten.
- Jugendliche wünschen sich niedrigschwellige Schnuppermöglichkeiten, um unterschiedliche Berufe kennenzulernen.
- „Natürliche Begegnungsfelder“ (z. B. Vereine, Nachbarschaft, Nebenjobs) werden weniger – direkte Kontakte zwischen Jugendlichen und Betrieben entstehen seltener von selbst.
- Die Forschung der TH Nürnberg zeigt, dass das Matching zwischen Jugendlichen und Betrieben schlechter funktioniert, wenn Auswahlentscheidungen nur auf Bewerbungsunterlagen und kurzen Interviews beruhen.
Ziel ist es, Jugendlichen realistische Einblicke in die Arbeitswelt zu ermöglichen, Betrieben einen authentischen Eindruck potenzieller Auszubildender zu geben und den Übergang von der Schule in Ausbildung nachhaltig zu verbessern.
Beim 4+1-Praktikum sind die Schülerinnen und Schüler an vier Tagen in der Woche in der Schule und an einem festen Wochentag im Praktikum, meist in Klasse 8 oder 9 der Mittelschule. Wichtig ist:
- Das Modell ergänzt klassische Blockpraktika und ersetzt sie nicht.
- Der Praxistag findet regelmäßig statt – über Wochen oder länger.
- Die Gestaltung ist bewusst flexibel: Dauer, Anzahl der teilnehmenden Betriebe und Organisation können von Schule zu Schule variieren.
- Einige Jugendliche bleiben über einen längeren Zeitraum im gleichen Betrieb, andere wechseln, um verschiedene Berufsfelder kennenzulernen.
So entstehen kontinuierliche, verlässliche Kontakte zwischen Schülern und Betrieben. Berufsorientierung wird vom einmaligen „Hineinschnuppern“ zu einem dauerhaft angelegten Lern- und Erfahrungsprozess.
Die Pilotphase des 4+1-Praktikums wurde von der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm (TH Nürnberg) wissenschaftlich begleitet. Die Evaluation umfasst unter anderem:
- standardisierte Befragungen von Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe,
- Befragungen von beteiligten Betrieben,
- Auswertungen zur Wirksamkeit der Berufsorientierung insgesamt,
- Analyse von Übergängen in Ausbildung.
Auf Basis der ersten Ergebnisse wurde das Forschungsprojekt unter dem Titel AzuRe PLUS fortgeführt. Die TH Nürnberg untersucht dabei weiter:
- wie Berufsorientierung, Bewerbung und Auswahlverfahren besser aufeinander abgestimmt werden können,
- an welchen Stellen im Recruitingprozess geeignete Jugendliche „versickern“,
- welche Maßnahmen dazu beitragen, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden und Übergänge zu stabilisieren.
Die Erkenntnisse der TH Nürnberg fließen direkt in die Weiterentwicklung des 4+1-Praktikums im Nürnberger Land ein.
Die konkrete Umsetzung des 4+1-Praktikums liegt in der Verantwortung der einzelnen Schulen. Das Staatliche Schulamt gibt keine starren Zeitvorgaben vor, sondern setzt auf pädagogische Gestaltungsspielräume.
Typische Organisationsformen sind:
- über weite Zeiträume eines Schuljahrs mit wöchentlichem Praxistag (z, B. in Praxisklassen),
- ein Schulhalbjahr mit wöchentlichem Praxistag,
- Phasen, in denen ein Betrieb über einen längeren Zeitraum besucht wird,
- Wechsel zwischen verschiedenen Betrieben (z. B. handwerklich, kaufmännisch, sozial).
Die Auswahl der Betriebe erfolgt grundsätzlich durch die Jugendlichen selbst. Wenn Schüler noch keine klaren Neigungen benennen können, unterstützen Lehrkräfte mit Vorschlägen – auf Basis ihrer Kenntnisse über Stärken, Talente und Interessen der Jugendlichen.
Schulen begleiten das Praktikum durch Vor- und Nachbereitung im Unterricht, Reflexionsphasen und den Austausch mit den Betrieben.
Die Evaluation der TH Nürnberg zeigt eine Reihe deutlicher positiver Effekte für die Jugendlichen:
- Rund 80 % der Befragten geben an, dass die Donnerstagspraktika ihre Berufsorientierung gestärkt haben.
- 67 % fühlen sich durch die Praktika eher ermutigt, eine Ausbildung zu beginnen.
- Viele Jugendliche lernen Berufe kennen, die sie zuvor nicht im Blick hatten, und können besser einschätzen, was zu ihnen passt.
- Jugendliche ohne klaren Berufswunsch bewerten das Modell besonders positiv – für sie ist es oft berufsentscheidend.
Neben der reinen Berufsorientierung macht die TH Nürnberg auch Zuwächse in der persönlichen Entwicklung sichtbar:
- Stärkung von Selbstständigkeit und Eigenverantwortung,
- Steigerung von Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit,
- Verbesserung von Kommunikationsfähigkeit und Teamarbeit,
- realistischere Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Schwächen.
Besonders wichtig: Durch die Erfahrungen im Betrieb erkennen viele Jugendliche ggf. frühzeitig, welche Berufe nicht zu ihnen passen. Damit trägt das Modell dazu bei, Ausbildungsabbrüche und Fehlentscheidungen zu vermeiden.
Auch für die Schulen zeigt die Evaluation der TH Nürnberg vielfältige Vorteile:
- Berufsorientierung kann praxisnäher und motivierender in den Unterricht integriert werden.
- Lehrkräfte erhalten durch Rückmeldungen der Betriebe zusätzliche Einblicke in Stärken und Entwicklungsfelder ihrer Schülerinnen und Schüler.
- Übergangsberatung (z. B. Richtung Ausbildung oder weiterführende Schule) wird auf eine bessere Datenbasis gestellt.
- Bewerbungsvorbereitung kann gezielter an echten Erfahrungen anknüpfen.
Die Schule wird so zu einer aktiven Schnittstelle zwischen Jugendlichen und Betrieben – mit einem klaren Fokus auf gelingende Übergänge in Ausbildung und Beruf.
Die TH Nürnberg hebt hervor, dass das 4+1-Praktikum auch für Betriebe deutliche Vorteile mit sich bringt:
- Statt kurzer Bewerbungsgespräche erhalten Betriebe authentische Eindrücke von Motivation, Verhalten und Fähigkeiten der Jugendlichen über einen längeren Zeitraum.
- Das Modell ermöglicht einen niedrigschwelligen Einstieg – auch für kleine Betriebe, die keine Blockpraktika anbieten können.
- In Zeiten zunehmender Fachkräfteengpässe bietet das 4+1-Praktikum einen wichtigen Zugang zu potenziellen Auszubildenden.
Für viele Betriebe ist das 4+1-Praktikum ein Instrument, um frühzeitig zu erkennen, ob eine Schülerin oder ein Schüler zur eigenen Ausbildungsstelle passt – und umgekehrt.
Die TH Nürnberg beschreibt das 4+1-Praktikum als wichtigen Baustein zur Fachkräftesicherung im ländlichen Raum:
- Jugendliche lernen regionale Betriebe und deren Ausbildungsangebote früh kennen.
- Betriebe können sich als attraktive Ausbildungsorte präsentieren.
- Durch verbindliche Kooperationen entstehen stabile Netzwerke zwischen Schulen, Unternehmen und weiteren regionalen Akteuren.
Das Modell trägt somit dazu bei, junge Menschen in der Region zu halten und langfristige berufliche Perspektiven im Nürnberger Land zu eröffnen.
In Kooperation mit dem Arbeitskreis Schule–Wirtschaft und der Bildungsregion Nürnberger Land wurde eine digitale Plattform aufgebaut, auf der Unternehmen ihre Angebote veröffentlichen können:
- Ausbildungsplätze,
- klassische Praktika,
- 4+1-Praktika.
Diese Plattform dient als zentrale Drehscheibe für Jugendliche, Schulen und Betriebe:
Ersetzt das 4+1-Praktikum klassische Blockpraktika?
Nein. Es ist eine ergänzende Form der Berufsorientierung und soll Blockpraktika sinnvoll erweitern, nicht ersetzen.
Verpassen Schülerinnen und Schüler Unterrichtsstoff?
Schulen organisieren Unterricht und Wiederholungsphasen so, dass die pädagogischen Gewinne aus den Praktika den Verlust einzelner Unterrichtsstunden deutlich überwiegen. Die Evaluation der TH Nürnberg bestätigt diesen positiven Gesamteffekt.
Kann ein Betrieb gewechselt werden?
Ja. Wenn sich zeigt, dass ein Praktikumsbetrieb nicht passend ist, kann nach Absprache mit Schule, Betrieb und Eltern ein Wechsel erfolgen.
Fazit
Die Evaluation der TH Nürnberg zeigt: Das 4+1-Praktikum ist ein wirksames und innovatives Instrument moderner Berufsorientierung. Es schafft echte Begegnungen zwischen Jugendlichen und Betrieben, stärkt die Ausbildungsbereitschaft und verbessert den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt – zum Nutzen der Schülerinnen und Schüler, der Schulen, der Betriebe und der gesamten Region Nürnberger Land.